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Einstein-Hilbert Priorität
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Erwiderung auf Norbert Schappacher

Entgegnung von Daniela Wuensch auf die Besprechung ihres Buches „’zwei wirkliche Kerle’. Neues zur Entdeckung der Gravitationsgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie durch Albert Einstein und David Hilbert“ von Norbert Schappacher in Mathematische Semesterberichte (2005), 52, S. 241-245

Dr. Daniela Wuensch

Dass Autoren sich einerseits über (fast) jede Rezension ihrer Bücher freuen und andererseits dennoch häufig mehr oder minder unglücklich über sie sind, ist altbekannt. Das Maß der Entstellung kann aber so groß sein, dass der Rezensierte sich genötigt sieht, behauptetes Falsches richtigzustellen. Mein Buch „’zwei wirkliche Kerle’“ ist nun schon mehrfach besprochen worden (siehe http://termessos.de/presseeinsteinhilbert.htm und http://termessos.de/LinksEinsteinHilbertdispute.htm), doch die Besprechung Schappachers ist derart, dass sie die Autorin zwingt, zum Wort zu greifen.

Schappacher bekennt selber, kein Verständnis für die von mir behandelte Frage zu haben. Denn am Ende seiner Rezension fragt er, wozu die Klärung der Priorität bezüglich der Aufstellung der Gravitationsgleichungen durch Hilbert oder Einstein dienen soll: „Zumindest für meinen Begriff von Wissenschaftsgeschichte ist es nur von geringem Interesse zu wissen, wer zuerst eine Gleichung hatte“ (Schappacher, S. 245).

So ist es Schappacher entgangen, worin die Bedeutung der Prioritätsfrage liegt. In der Wissenschaftsgeschichte werden seit längerem solche Fragen im sozialen Kontext beantwortet. Mein Buch setzt sich aber bewusst von diesem gängigen Verfahren ab. Es befasst sich mit der – meines Erachtens – wesentlichen Frage: „Wie entstehen physikalische Theorien?“ und: „Was ist der Zusammenhang zwischen ihrer Entstehung und dem mathematischen Kontext, in dem sie entwickelt wurden?“ Obwohl Schappacher Mathematiker ist, hat er offenbar kein Interesse für diese – meines Erachtens – in diesem mathematischen Kontext wesentlichen Fragen der Wissenschaftsgeschichte. So erfährt der Leser der Schappacherschen Rezension – da die Autorin diesen Fragen im zweiten Teil ihres Buches nachgegangen ist – nur von der ersten Hälfte des Buches etwas.

Weit mehr als diese wissenschaftshistorischen Fragen interessiert Schappacher die Quellenanalyse, die die Autorin an den Fahnen- bzw. eigentlich Umbruchkorrekturen David Hilberts im Archiv in Göttingen vornahm. Diesen Umbruchfahnen enthalten einen Ausschnitt (ein Stück eines Blattes ist mit einer Schere ausgeschnitten worden und fehlt daher jetzt). Schappacher interessiert nun nicht die Analyse dieses Hilbertschen Textes, sondern nur ein singulärer Aspekt: die Frage nach dem Täter, der den Ausschnitt in den Fahnen vorgenommen haben muss. Diese Frage wird zwar durch mein Buch aufgeworfen, ich bin ihr im Buch aber gar nicht nachgegangen, da ich mich auf eine wissenschaftshistorische Analyse der Quellen beschränkte und – anders als Schappacher – kein Interesse für die Frage nach dem Täter (eine Frage, die außerhalb des Bereichs der Wissenschaftsgeschichte liegt) zeigte. Schappacher bezeichnet das Buch als „ein[en] leichenreiche[n] Krimi“. Man fragt sich: Wie kommt Schappacher darauf, wenn die Autorin doch keine – nicht einmal einen – Täter nennt? Was sich im Buch befindet, bespricht Schappacher nicht, und was er bespricht, befindet sich nicht im Buch.

Die Autorin weiß nicht genau, ob sie Schappachers Bewertung, das Buch sei ein Krimi, als Kompliment oder als Vorwurf (zumal er auch bekennt, dass er sich „unzufrieden aufgekratzt fühlte“) auffassen soll. Die Autorin möchte noch einmal betonen, dass es sich nur in der Phantasie von Schappacher um einen Krimi handelt. Tatsächlich ist das Buch eine rein wissenschaftliche Untersuchung mehrerer historischer Quellen aus dem Nachlass der Mathematikers David Hilbert nach den Methoden der Quellenkritik und der Wissenschaftsgeschichte.

Autoren denken häufig, ihre Rezensenten müssen ein anderes Buch gelesen haben. Seine Vorstellung, einen Krimi zu lesen, hat Schappacher aber offenbar davon abgehalten, den Argumenten der Analyse des Buches aufmerksam nachzugehen. Sonst ist es der Autorin unverständlich, warum Schappacher den einfachen logischen Denkweg des Buches seinen Leser vorenthält. Die Analyse des Buches führt zu zwei Möglichkeiten:

  1. Entweder hat Hilbert seine Gravitationsgleichungen selber herleiten können: Dann muss er sie schon bis zum 16. November 1915 aufgestellt haben, als er in der Mathematischen Gesellschaft in Göttingen darüber vortrug, und muss sie umgehend (auf jeden Fall noch vor dem 18. November) Einstein mitgeteilt haben, der sie dann in seine endgültige Abhandlung vom 25. November übernommen haben muss (nachdem er sie zwischen dem 18. und 25. November verstanden hatte und in seine Konzeption integrieren konnte).
  1. Oder Hilbert konnte diese Gleichungen nicht selber herleiten – da ihm mathematische Kenntnisse fehlten – und musste sie (umgekehrt) von Einstein nach dem 25. November übernehmen.

(Der 3. Fall einer gleichzeitigen unabhängigen Entdeckung kann ausgeschlossen werden aufgrund Einsteins eigenem Brief vom 18. November 1915 an Hilbert und Max Borns Brief vom 23. November 1915 an Hilbert.)

Schappacher unterließ in seiner Rezension zu erwähnen, dass die 2. Möglichkeit als neu erwiesenes Faktum im Science-Artikel von Corry, Renn und Stachel von 1997 behauptet wurde – übrigens ohne dass die Autoren den Ausschnitt in den Hilbertschen Fahnenkorrekturen erwähnten, ein kapitaler methodischer Fehler, aber nicht einmal der ist Schappacher einer Erwähnung wert! Auch aufgrund dieser Unterlassung kamen sie zu ihrer die bisherige Ansicht umstürzenden These, dass Hilbert von Einstein abgeschrieben haben müsse.

Ebenfalls unterließ Schappacher zu erwähnen, dass im Jahre 2004 drei bekannte russische Relativitätstheoretiker überzeugend die 1. These bewiesen. (Das Buch erwähnt mehrfach diese detaillierte Abhandlung und die Schlussfolgerungen von A. A. Logunov, M. A. Mestvirishvili und V. A. Petrov.) Sie zeigten überzeugend, dass sich in Hilberts Theorie die Gravitationsgleichungen deduktiv ergeben und Hilbert daher gar nichts abzuschreiben brauchte. Der gleichen Meinung sind allerdings auch andere Wissenschaftler, z.B. der Relativitätstheoretiker aus Göttingen, Prof. Hubert Goenner. In diesem Fall, da die Gleichungen in endgültiger Form gar nicht in den – durch den Ausschnitt verstümmelten – restlichen Fahnenkorrekturen zu finden sind, müssen sie logischerweise auf dem herausgeschnittenen Stück der Fahnenkorrekturen Hilberts auf Seite 8 gestanden haben. Von dieser zentralen Schlussfolgerung des ersten Teils meines Buches erfährt man bei Schappacher aber nichts.

Rezensenten können anderes für wichtig halten als Autoren, aber einen gewissen Bericht über den Inhalt eines Buches und seine zentralen Thesen darf man erwarten.

Schappacher äußert sich nur zur Quellenanalyse über den Ausschnitt. Ein Argument der Autorin, dass Hilbert an Felix Klein mit seinem Brief vom 7. März 1918 seine unzerschnittene Fahnenkorrektur zugeschickt haben muss, ist, dass Hilbert Klein gerade die Herleitung des Energiesatzes, der auf Seite 6 beginnt und auf Seite 7 unter dem ausgeschnittenen Teil endet, zeigen wollte. Daher konnte Hilbert nicht ausgerechnet einen Teil von dem herausgeschnitten haben, was er Klein zeigen wollte. Schappacher ist in diesem Punkt anderer Meinung. Er meint, Klein habe durch „nahe liegende Interpolation des beschnittenen Textes“ (Schappacher, S. 244) ergänzen können, was Hilbert ausgeschnitten hätte. Schappacher meint damit folgendes: Hilbert habe Klein die Fahnenkorrekturen geschickt, nachdem er selber den Ausschnitt gemacht habe (den er gemacht habe, als er die Endversion seiner Arbeit hergestellt habe). Hilbert wollte – das konzediert Schappacher – zwar Felix Klein die ganze Herleitung zeigen, doch auf dem ausgeschnittenen Stück der Seite 7 stand ein Teil der Herleitung, den Klein auch selber im Kopf oder mit Bleistift auf Papier durch Interpolation hätte nachvollziehen können. Hilbert sei einfach davon ausgegangen, dass Klein auch selber und ohne jeden weiteren Hinweis seitens Hilberts verstehen konnte, was auf dem fehlenden Teil der Seite 7 stand. Dagegen sprechen jedoch mehrere Argumente:

  1. Was auf dem fehlenden Teil der Seite 7 stand, weiß man bis heute nicht mit Sicherheit. Man weiß, dass darauf Formel (14) und Satz (2) standen – da sie von Hilbert unter dem Ausschnitt erwähnt werden –, und dass sie die zweite Eigenschaft der Energieform bildeten, aber niemand weiß, wie sie ausgesehen haben. Schappacher schreibt: „Anschließend [nach Seite 6] geht Hilbert an die Ableitung der zweiten Eigenschaft der Energieform, die [als Formel (14) und Satz 2, wie ich vermuten würde] auf dem fehlenden Teil der Seite 7 stand“ (Schappacher, S. 244). Hätte Schappacher doch seine Vermutung substantiiert, dann wüssten wir jetzt mehr, da bisher niemand die fehlenden Formeln von Seite 7 rekonstruieren konnte [siehe Sauer (1999), S. 550 und Renn und Stachel (1999), S. 25-27]. Da Schappacher diese Formeln nicht angibt und auch ausgewiesene Fachleute diese Formeln nicht rekonstruieren konnten, ist seine Behauptung, Felix Klein hätte sie selber einfach rekonstruieren können, unbegründet. Auch aus diesem Grund waren Corry, Renn und Stachel in ihrer ersten Entgegnung auf Winterberg der verblüffenden Meinung, Hilbert müsse Felix Klein die Seiten 1-8 und noch den Ausschnitt aus dem Blatt 7/8 geschickt haben.
  1. Hilbert hätte vielleicht Klein zugetraut, den fehlenden Teil der Herleitung selber zu „interpolieren“ (auch ohne ihn darauf hinzuweisen). Er hat aber nach Schappacher Klein nicht nur die Seiten 6 und 7 zugeschickt (die auf zwei verschiedenen Blättern standen), sondern auch noch das lose Blatt mit den Seiten 1/2, das er ihm gar nicht hätte zu schicken brauchen, um die Herleitung des Energiesatzes zu verstehen, da sie nur auf den Seiten 6 und 7 stand. Er hätte ihm ebenfalls auch nicht das Blatt mit den Seiten 3/4 zuzuschicken brauchen, wie er es aber tat. Er hätte sie, wenn er Klein nur die Herleitung des Energiesatzes hätte zeigen wollen, von dem Blatt mit den Seiten 5/6 einfach trennen können. Schließlich hat Hilbert – bzw. X, denn die Autorin bestreitet, dass der Ausschnitt von Hilbert stammt –, nachdem er aus dem Blatt mit den Seiten 7/8 das obere Drittel herausgeschnitten hatte, dieses restliche Blatt auch noch vom Blatt 1/2 getrennt (die beiden Blätter sind nach dem Ausschnitt auseinandergerissen); genauso gut hätte er auch Blatt 3/4 von 5/6, die einen Bogen bilden, auseinanderreißen können, zumal das Blatt mit den Seiten 3 und 4 nichts zum Energiesatz enthielt. Hilbert hat aber – nach Schappachers Meinung – Seiten 1 bis 8 Klein geschickt (ohne den Ausschnitt). Schon das hätte ihn erkennen lassen müssen, dass Hilbert Klein mehr zeigen wollte, als bloß die Herleitung des Energiesatzes auf Seite 6 und 7 bzw. sogar nur auf Seite 6., da Hilbert nach Schappachers Ansicht Klein den Ausschnitt von Seite 7 ja nicht geschickt habe. Ja, Schappachers eigene Annahme spricht selber schon dafür, dass Hilbert Klein offenbar alles zeigen wollte. Aufgrund weiterer Argumente ergibt sich aus der Analyse der Autorin in ihrem Buch, dass Hilbert nicht nur Seite 1-8, sondern Seite 1-12 (also drei Bögen, da Hilbert selbst von „3 Blätter[n]“ spricht) geschickt hat (Seite 13 hat er nicht beigelegt oder nicht mitgezählt, da sie sich nicht von der letzten Seite der gedruckten Fassung unterschied). Da aber nur Seiten 1-8 gefaltet sind, geht die Autorin davon aus, dass dies nachträglich erfolgt ist und zwar durch einen Quellenmanipulator.
  1. Es stellt sich die Frage, warum Hilbert in seinem Brief an Klein den Ausschnitt aus exakt dem Teil, den Klein sehen wollte, nicht erwähnte – und auch keine notwendige „Interpolation“ seiner Beweisführung des Energiesatzes. Er schrieb vielmehr: „Anbei schicke ich Ihnen meine erste Korrektur meiner ersten Mitteilung, in der ich gerade die Idee von Runge auch ausgeführt hatte; insbesondere auch mit Satz 1, S. 6 in dem der Divergenzcharakter der Energie bewiesen wird.“ Hilbert wollte natürlich Klein ausführlich zeigen, wie er die Idee von Runge ausgeführt hatte, daher musste er ihm die Fahnenkorrekturen vollständig und ohne Ausschnitt zuschicken. Wir wissen nicht genau, wie Runge seine Idee ausgeführt hatte, da er dies nicht veröffentlichte. Aber wir müssen nach Hilberts Aussage davon ausgehen, dass Hilbert bemüht war zu zeigen, dass seine Herleitung mit der von Runge äquivalent ist: Daher musste Klein die vollständige Beweisführung Hilberts – und nicht bloß den Teil auf Seite 6 – sehen.
  1. Hilbert bittet Klein, ihm die Korrekturfahnen „wieder freundlichst zustellen zu wollen, da ich sonst keine Aufzeichnungen habe.“ Nun, es handelt sich bei diesen Fahnenkorrekturen um die einzigen Fahnenkorrekturen, die Hilbert aufbewahrt hat: Von den etwa 200 Fahnenkorrekturen seiner Werke, die Hilbert von Verlagen erhielt, bewahrte er als einzige diese. Es ist natürlich schwer zu glauben, dass dies reiner Zufall gewesen sei, und es fällt noch schwerer zu glauben, dass er diese eine, die ihm offenbar wichtig war, unvollständig aufbewahrte. Alle Fahnenkorrekturen, zerschnitten oder nicht, warf Hilbert sonst immer weg. Er bewahrte also die Fahnenkorrektur seiner ersten Mitteilung auf, weil sie ihm äußerst wichtig war, wie er ja auch Klein schrieb. Daher kann man mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, dass Hilbert sie vollständig und unzerschnitten aufbewahrte.
  1. Es wurde behauptet, dass Hilbert selber den Ausschnitt machte, um seine endgültige Veröffentlichung herzustellen. Man sieht aber eindeutig, dass Hilbert die Korrekturen auf dieser Fahne nur begann, aber nicht zu Ende führte. Manche dieser Korrekturen auf diesen Fahnen waren nur vorläufig, denn er berücksichtigte sie gar nicht mehr in der endgültigen Fassung. Das heißt also, dass er diese Korrekturfahne nicht für seine endgültige Fassung verwendete, sondern dass er weitere besaß. Man kann leicht erschließen, dass Hilbert mindestens noch zwei weitere Exemplare besessen haben muss, aus denen er die endgültige Fassung herstellte, indem er sie zerschnitt, die ausgeschnittenen Textpassagen neu arrangierte und teilweise mit neuen Überleitungen versah. Wenn Hilbert das Exemplar, das im Nachlass überliefert ist, für die Herstellung seiner endgültigen Fassung verwendet hätte, so hätte er – da die Blätter beidseitig bedruckt sind – viel mehr ausschneiden müssen, als nur diesen einen Teil von Blatt 7/8.
  1. Wenn Hilbert diesen Ausschnitt selber gemacht hätte, so stellt sich die wichtige Frage, warum er anschließend auch noch den Rest des Blattes 7/8 von dem Blatt 1/2 abriss: denn ursprünglich bildeten Blatt 1/2 und 7/8 einen einzigen Bogen. Denn Hilbert selber hätte natürlich ein Interesse gehabt – wenn er tatsächlich selber den Ausschnitt gemacht hätte –, diese Seiten zusammenzulassen und nicht, sie auch noch zu trennen (da er sie ja zurückerhalten wollte, wäre es widersinnig gewesen, sie durch weitere Vereinzelung und Trennung in weitere Teile zu zerlegen, da damit die Gefahr des Verlustes von Teilen wuchs).
  1. Die drei römischen Zahlen auf den Seiten 1, 3 und 7 (unten dem fehlenden Teil der Seite 7) stammen aller Wahrscheinlichkeit nach nicht von Hilbert: Nicht nur, dass die Handschrift verschieden ist, sondern auch deshalb, weil Hilbert niemals Seiten, noch Blätter mit römischen Zahlen nummeriert hat, sondern stets mit arabischen Zahlen. (Die Autorin hat ausführlich dargelegt, dass Hilbert römische Zahlen verwendete, um Kapitel, Bände, Themen, Gruppen aus dem periodischen System, Theoreme usw. zu nummerieren, aber niemals Seiten oder Blätter.) Schappacher vermutet, dass die römischen Zahlen von Käthe Hilbert stammen könnten: Das kann ausgeschlossen werden, da Käthes Handschrift so prägnant ist, dass sie sich eindeutig von der Handschrift, die die römischen Zahlen schrieb, unterscheidet.
  1. Es gibt aber etwas viel Wichtigeres im Zusammenhang mit diesen römischen Zahlen, das Schappacher ebenfalls übersehen hat: Alle Seiten der Fahnenkorrekturen, außer dem Rest der Seiten 7/8 und der Titelseite, sind schon von der Druckerei mit arabischen Seitenzahlen bedruckt. Wenn Hilbert den Ausschnitt selber gemacht hätte und das Restblatt, das nun keine oben gedruckte Seitenpagina mehr besaß, hätte nummerieren wollen, dann hätte es gereicht, eine 7 (mit der Tinte, mit der er den Brief an Klein schrieb) unter den Ausschnitt auf der Seite 7 hinzuzufügen, um Eindeutigkeit zu erzielen (denn deren Rückseite konnte dann nur noch Seite 8 sein und auf dem Ausschnitt standen ja die gedruckten Zahlen). Hätte er die Seiten neu nummeriert, dann hätte er nach seiner Gewohnheit die bereits nummerierten Seiten und Blätter neu mit arabischen Zahlen nummeriert (nach seiner Gewohnheit übrigens immer in einer anderen Farbe als derjenigen der ursprünglichen Nummerierung). Warum sollte Hilbert nun auf einmal so viel Zeit verschwenden, um ganz gegen seine Gewohnheit ausgerechnet drei römische Zahlen zu schreiben, wo eine einzige arabische 7 schon gereicht hätte? Die drei römischen Zahlen entsprechen nicht Hilberts Gewohnheit, und dass er 1918 schon so verwirrt gewesen sei, dass er nicht bemerkte, schon mit einer einzigen Zahl Klarheit schaffen zu können, möchte die Autorin zumindest nicht voraussetzen.
  1. Man fragt sich aber, warum Hilbert überhaupt eine Nummerierung hätte ergänzen müssen, denn wenn, wie Schappacher meint, Hilbert Kleins Fähigkeiten der „Interpolation“ für so immens hielt, dass er einfach die fehlenden Passagen der Herleitung des Energiesatzes selber hätte interpolieren können, dann hätte er natürlich auch sofort erkennen müssen, dass das letzte, durch den Ausschnitt ‚geköpfte’ und nicht mehr paginierte Blatt nur Seite 7 bzw. 8 sein konnte. Hilbert hätte demnach davon ausgehen können, dass Klein schon erkennen wird, wo die Herleitung von Seite 6 weiter geht, zumal auf Seite 8 etwas ganz anderes steht. Warum aber sollte er dann noch die Blätter handschriftlich paginiert haben? Schappacher bleibt uns eine Erklärung schuldig. Oder traute er Felix Klein doch nicht zu, dass er sofort erkennt, wo der Satz 1 von Seite 6 weiter ging? Dabei hat Schappacher im selben Atemzug erklärt, dass Klein den fehlenden Inhalt interpolieren konnte.
  1. Hilbert hatte die Fahnenkorrekturen von dem Verlag in einem großen Unschlag erhalten: Denn die Blätter mit den Seiten 9-13 sind ungefaltet und so ungefaltet passten sie nur in einen großen Umschlag. Warum schickte sie Hilbert dann – vor allem, wenn er sie später sorgfältig zusammen mit den anderen ungefalteten aufbewahren wollte – in einem kleinen Umschlag an Felix Klein? Gerade
    1.
    die Faltung, die nur die Blätter 1 bis 8 betrifft, aber nicht die Blätter 9 bis 13,
    2.
    die drei römischen Zahlen, die für Hilbert gänzlich untypisch sind und
    3.
    die Tatsache, dass nach dem Ausschnitt das Blatt 7/8 vom Blatt 1/2 abgerissen wurde, so dass jetzt die Seiten 1-8 aus „3 Blätter[n]“ bestehen, ganz so wie es Hilbert in seinem Brief an Felix Klein bemerkte, sprechen dafür, dass diese Fahnenkorrekturen nach dem Zeitpunkt des Bekanntwerdens dieses Briefes von Hilbert an Klein absichtlich manipuliert wurden, damit sie mit Hilberts Angaben in diesem Brief an Klein übereinstimmen: Ein zufälliges Zusammentreffen all dieser Eigenschaften vor dem Bekanntwerden dieses Briefes – er wurde erst 1985 publiziert –, so dass sie mit dem Brief an Klein übereinstimmen, kann ausgeschlossen werden.

Die Autorin hofft, genug Argumente gegen die These von Schappacher, Hilbert habe selber den Ausschnitt gemacht und anschließend den Brief an Klein geschickt, gegeben zu haben. Sie stehen allerdings auch im Buch; ein aufmerksamer Leser hätte sie einfach selber nachvollziehen können. Wer das Gegenteil behaupten möchte, sollte sich bemühen, für die Entstehung der in 10. genannten Eigenschaften der Fahnenkorrektur eine andere Erklärung zu geben als es der Autorin gelang. Die Autorin selber würde es sehr begrüßen, wenn eine andere Erklärung für diese Phänomene gefunden werden könnte als die, die sie selber fand. Dass Schappachers Behauptung, der Ausschnitt könne nur von Hilbert selber stammen, viel zu viele Fragen offen lässt, hofft sie durch die obigen Punkte 1 – 10 deutlich gemacht zu haben. Schappachers Rezension hilft also nicht zu einer weiteren Klärung der Sache.

Da Schappacher eigentlich der Autorin nichts Substantielles entgegnen kann, scheint er froh, ihr ein ‚frisiertes Zitat’ ankreiden zu können [Schappacher, S. 244 in Bezug auf Sauer (1999)] – gemeint ist ein Zitat aus Sauer, das in eckigen Klammern mit einer erklärenden Ergänzung versehen ist. In der Tat muss es anstelle von „The discussion of the second property [des Divergenzcharakters der Energieform]…“ heißen, „The discussion of the second property [der Energieform]…“. Pech nur für Schappacher, dass das nicht nur die Thesen der Autorin in keiner Weise verändert, sondern sie im Gegenteil sogar noch verstärkt. Denn so verstanden zeigt das, dass Hilberts vollständige Beweisführung zwei Eigenschaften der Energieform betrifft: Die erste steht auf Seite 6 und die zweite auf dem fehlenden Teil der Seite 7. Felix Klein musste also – um Hilberts Ausführungen zu verstehen – beide Eigenschaften in Hilberts Fahnenkorrekturen verfolgen können, dementsprechend auch seine Ausführungen auf dem fehlenden Teil der Seite 7.

Schappacher ist der Autorin bekannt und hatte einen Entwurf seiner Rezension ihr schon vorab gesandt. Darauf hatte die Autorin ihn darauf hingewiesen, dass Hilberts Beweisführung zwei Eigenschaften betrifft, und dass die zweite Eigenschaft auf dem fehlenden Teil der Seite 7 stand. In seinem Rezensionsentwurf glaubte Schappacher noch, Hilberts Beweisführung würde sich auf den Satz 1 (Seite 6) seiner Korrekturfahnen beschränken. Es wäre schön, wenn Schappacher, ähnlich wie er aus den Ausführungen der Autorin zu seinem Rezensionsentwurf gelernt hat, auch aus dieser Erwiderung auf seine publizierte Rezension lernen würde. Die Autorin ist auf jeden Fall bereit zu weiteren Diskussionen.

Hätte Schappacher nicht nur die erste Hälfte des Buches gelesen, so hätte er vielleicht bemerkt, dass „das Büchlein“ sich nicht nur „um ein einzelnes Stück aus diesem großen Nachlass“ David Hilberts „dreht“ (Schappacher, S. 242). Die Autorin hat eine Vielzahl von Quellen aus Hilberts Nachlass untersucht: Schon auf Seite 120-121 ihres Buches sind 23 Mappen aus dem Nachlass von Hilbert aufgelistet, die bei weitem nicht alle im Buch zitierten und in die Analyse miteinbezogenen Quellen enthalten. (Um Hilberts Verhalten bei der Verwendung der römischen Zahlen zu untersuchen, musste die Autorin natürlich den ganzen Nachlass Hilberts durchsehen.) Ebenfalls wurden auf Seite 120 sechs umfangreiche Mappen aus Felix Kleins Nachlass aufgelistet, in denen die Autorin für die Untersuchung bedeutende Quellen entdeckt und das erste Mal in einer wissenschaftshistorischen Arbeit sogar ausgewertet hat: Erwähnt sei nur der Brief von Hermann Vermeil an Felix Klein vom 2. Februar 1918, der eine mögliche Herleitung des entscheidenden Terms der endgültigen Form der Gravitationsgleichungen Hilberts gibt, und den die Autorin als erste besprochen und ediert hat. Ebenfalls hat die Autorin Quellen aus den Nachlässen von Karl Schwarzschild, Arnold Sommerfeld und Gustav Mie verwendet. Da Schappacher erfreulicherweise die Archivarbeit des Wissenschaftshistorikers schätzt, gibt er auch hiermit zu erkennen, dass er nur in den ersten Teil des Buches geschaut hat.

Die Autorin kann nicht schließen, ohne einige Ausdrücke des Rezensenten zu erwähnen, die ihre besondere Aufmerksamkeit erweckt haben: Die Autorin „vergeudet“ „ihre Zeit mit der fixen Idee eines Archivfälschers“ (S. 245), „das Büchlein … dreht sich um ein einzelnes Stück“ und „knüpft daran schwere kriminelle Verdächtigungen“ (S. 242), „Kollegen mit großer krimineller Energie“ seien gemeint (S. 245), das Buch wirke auf den Rezensenten wie ein „leichenreiche[r] Krimi“ (S. 242) und stelle eine „Amateur-Kriminalistik“ (S. 245) dar.

Mit diesen Ausdrücken verlässt Prof. Schappacher den Bereich der Wissenschaft, teilweise sollen sie sogar beleidigen – und würde der Autorin der Sinn für Humor fehlen, würde sie sie auch so auffassen. Die Autorin glaubt aber, dass sie auf unaufmerksamer und unvollständiger Lektüre beruhen. Sie vertraut darauf, dass sich die Leser – sofern sie auch das Buch und nicht bloß die Rezension Schappachers lesen – selber ein Urteil bilden können über die Gründlichkeit ihrer wissenschaftlichen Untersuchung.

Dr. Daniela Wuensch, Göttingen, 15. März 2006

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