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Erwiderung auf Norbert Schappacher
Entgegnung von Daniela Wuensch auf die Besprechung ihres Buches „’zwei wirkliche Kerle’. Neues zur Entdeckung der Gravitationsgleichungen der Allgemeinen Relativitätstheorie durch Albert Einstein und David Hilbert“ von Norbert Schappacher in Mathematische Semesterberichte (2005), 52, S. 241-245 Dr. Daniela Wuensch Dass Autoren sich einerseits über (fast) jede Rezension ihrer Bücher freuen und andererseits dennoch häufig mehr oder minder unglücklich über sie sind, ist altbekannt. Das Maß der Entstellung kann aber so groß sein, dass der Rezensierte sich genötigt sieht, behauptetes Falsches richtigzustellen. Mein Buch „’zwei wirkliche Kerle’“ ist nun schon mehrfach besprochen worden (siehe http://termessos.de/presseeinsteinhilbert.htm und http://termessos.de/LinksEinsteinHilbertdispute.htm), doch die Besprechung Schappachers ist derart, dass sie die Autorin zwingt, zum Wort zu greifen. Schappacher bekennt selber, kein Verständnis für die von mir behandelte Frage zu haben. Denn am Ende seiner Rezension fragt er, wozu die Klärung der Priorität bezüglich der Aufstellung der Gravitationsgleichungen durch Hilbert oder Einstein dienen soll: „Zumindest für meinen Begriff von Wissenschaftsgeschichte ist es nur von geringem Interesse zu wissen, wer zuerst eine Gleichung hatte“ (Schappacher, S. 245). So ist es Schappacher entgangen, worin die Bedeutung der Prioritätsfrage liegt. In der Wissenschaftsgeschichte werden seit längerem solche Fragen im sozialen Kontext beantwortet. Mein Buch setzt sich aber bewusst von diesem gängigen Verfahren ab. Es befasst sich mit der – meines Erachtens – wesentlichen Frage: „Wie entstehen physikalische Theorien?“ und: „Was ist der Zusammenhang zwischen ihrer Entstehung und dem mathematischen Kontext, in dem sie entwickelt wurden?“ Obwohl Schappacher Mathematiker ist, hat er offenbar kein Interesse für diese – meines Erachtens – in diesem mathematischen Kontext wesentlichen Fragen der Wissenschaftsgeschichte. So erfährt der Leser der Schappacherschen Rezension – da die Autorin diesen Fragen im zweiten Teil ihres Buches nachgegangen ist – nur von der ersten Hälfte des Buches etwas. Weit mehr als diese wissenschaftshistorischen Fragen interessiert Schappacher die Quellenanalyse, die die Autorin an den Fahnen- bzw. eigentlich Umbruchkorrekturen David Hilberts im Archiv in Göttingen vornahm. Diesen Umbruchfahnen enthalten einen Ausschnitt (ein Stück eines Blattes ist mit einer Schere ausgeschnitten worden und fehlt daher jetzt). Schappacher interessiert nun nicht die Analyse dieses Hilbertschen Textes, sondern nur ein singulärer Aspekt: die Frage nach dem Täter, der den Ausschnitt in den Fahnen vorgenommen haben muss. Diese Frage wird zwar durch mein Buch aufgeworfen, ich bin ihr im Buch aber gar nicht nachgegangen, da ich mich auf eine wissenschaftshistorische Analyse der Quellen beschränkte und – anders als Schappacher – kein Interesse für die Frage nach dem Täter (eine Frage, die außerhalb des Bereichs der Wissenschaftsgeschichte liegt) zeigte. Schappacher bezeichnet das Buch als „ein[en] leichenreiche[n] Krimi“. Man fragt sich: Wie kommt Schappacher darauf, wenn die Autorin doch keine – nicht einmal einen – Täter nennt? Was sich im Buch befindet, bespricht Schappacher nicht, und was er bespricht, befindet sich nicht im Buch. Die Autorin weiß nicht genau, ob sie Schappachers Bewertung, das Buch sei ein Krimi, als Kompliment oder als Vorwurf (zumal er auch bekennt, dass er sich „unzufrieden aufgekratzt fühlte“) auffassen soll. Die Autorin möchte noch einmal betonen, dass es sich nur in der Phantasie von Schappacher um einen Krimi handelt. Tatsächlich ist das Buch eine rein wissenschaftliche Untersuchung mehrerer historischer Quellen aus dem Nachlass der Mathematikers David Hilbert nach den Methoden der Quellenkritik und der Wissenschaftsgeschichte. Autoren denken häufig, ihre Rezensenten müssen ein anderes Buch gelesen haben. Seine Vorstellung, einen Krimi zu lesen, hat Schappacher aber offenbar davon abgehalten, den Argumenten der Analyse des Buches aufmerksam nachzugehen. Sonst ist es der Autorin unverständlich, warum Schappacher den einfachen logischen Denkweg des Buches seinen Leser vorenthält. Die Analyse des Buches führt zu zwei Möglichkeiten:
(Der 3. Fall einer gleichzeitigen unabhängigen Entdeckung kann ausgeschlossen werden aufgrund Einsteins eigenem Brief vom 18. November 1915 an Hilbert und Max Borns Brief vom 23. November 1915 an Hilbert.) Schappacher unterließ in seiner Rezension zu erwähnen, dass die 2. Möglichkeit als neu erwiesenes Faktum im Science-Artikel von Corry, Renn und Stachel von 1997 behauptet wurde – übrigens ohne dass die Autoren den Ausschnitt in den Hilbertschen Fahnenkorrekturen erwähnten, ein kapitaler methodischer Fehler, aber nicht einmal der ist Schappacher einer Erwähnung wert! Auch aufgrund dieser Unterlassung kamen sie zu ihrer die bisherige Ansicht umstürzenden These, dass Hilbert von Einstein abgeschrieben haben müsse. Ebenfalls unterließ Schappacher zu erwähnen, dass im Jahre 2004 drei bekannte russische Relativitätstheoretiker überzeugend die 1. These bewiesen. (Das Buch erwähnt mehrfach diese detaillierte Abhandlung und die Schlussfolgerungen von A. A. Logunov, M. A. Mestvirishvili und V. A. Petrov.) Sie zeigten überzeugend, dass sich in Hilberts Theorie die Gravitationsgleichungen deduktiv ergeben und Hilbert daher gar nichts abzuschreiben brauchte. Der gleichen Meinung sind allerdings auch andere Wissenschaftler, z.B. der Relativitätstheoretiker aus Göttingen, Prof. Hubert Goenner. In diesem Fall, da die Gleichungen in endgültiger Form gar nicht in den – durch den Ausschnitt verstümmelten – restlichen Fahnenkorrekturen zu finden sind, müssen sie logischerweise auf dem herausgeschnittenen Stück der Fahnenkorrekturen Hilberts auf Seite 8 gestanden haben. Von dieser zentralen Schlussfolgerung des ersten Teils meines Buches erfährt man bei Schappacher aber nichts. Rezensenten können anderes für wichtig halten als Autoren, aber einen gewissen Bericht über den Inhalt eines Buches und seine zentralen Thesen darf man erwarten. Schappacher äußert sich nur zur Quellenanalyse über den Ausschnitt. Ein Argument der Autorin, dass Hilbert an Felix Klein mit seinem Brief vom 7. März 1918 seine unzerschnittene Fahnenkorrektur zugeschickt haben muss, ist, dass Hilbert Klein gerade die Herleitung des Energiesatzes, der auf Seite 6 beginnt und auf Seite 7 unter dem ausgeschnittenen Teil endet, zeigen wollte. Daher konnte Hilbert nicht ausgerechnet einen Teil von dem herausgeschnitten haben, was er Klein zeigen wollte. Schappacher ist in diesem Punkt anderer Meinung. Er meint, Klein habe durch „nahe liegende Interpolation des beschnittenen Textes“ (Schappacher, S. 244) ergänzen können, was Hilbert ausgeschnitten hätte. Schappacher meint damit folgendes: Hilbert habe Klein die Fahnenkorrekturen geschickt, nachdem er selber den Ausschnitt gemacht habe (den er gemacht habe, als er die Endversion seiner Arbeit hergestellt habe). Hilbert wollte – das konzediert Schappacher – zwar Felix Klein die ganze Herleitung zeigen, doch auf dem ausgeschnittenen Stück der Seite 7 stand ein Teil der Herleitung, den Klein auch selber im Kopf oder mit Bleistift auf Papier durch Interpolation hätte nachvollziehen können. Hilbert sei einfach davon ausgegangen, dass Klein auch selber und ohne jeden weiteren Hinweis seitens Hilberts verstehen konnte, was auf dem fehlenden Teil der Seite 7 stand. Dagegen sprechen jedoch mehrere Argumente:
Die Autorin hofft, genug Argumente gegen die These von Schappacher, Hilbert habe selber den Ausschnitt gemacht und anschließend den Brief an Klein geschickt, gegeben zu haben. Sie stehen allerdings auch im Buch; ein aufmerksamer Leser hätte sie einfach selber nachvollziehen können. Wer das Gegenteil behaupten möchte, sollte sich bemühen, für die Entstehung der in 10. genannten Eigenschaften der Fahnenkorrektur eine andere Erklärung zu geben als es der Autorin gelang. Die Autorin selber würde es sehr begrüßen, wenn eine andere Erklärung für diese Phänomene gefunden werden könnte als die, die sie selber fand. Dass Schappachers Behauptung, der Ausschnitt könne nur von Hilbert selber stammen, viel zu viele Fragen offen lässt, hofft sie durch die obigen Punkte 1 – 10 deutlich gemacht zu haben. Schappachers Rezension hilft also nicht zu einer weiteren Klärung der Sache. Da Schappacher eigentlich der Autorin nichts Substantielles entgegnen kann, scheint er froh, ihr ein ‚frisiertes Zitat’ ankreiden zu können [Schappacher, S. 244 in Bezug auf Sauer (1999)] – gemeint ist ein Zitat aus Sauer, das in eckigen Klammern mit einer erklärenden Ergänzung versehen ist. In der Tat muss es anstelle von „The discussion of the second property [des Divergenzcharakters der Energieform]…“ heißen, „The discussion of the second property [der Energieform]…“. Pech nur für Schappacher, dass das nicht nur die Thesen der Autorin in keiner Weise verändert, sondern sie im Gegenteil sogar noch verstärkt. Denn so verstanden zeigt das, dass Hilberts vollständige Beweisführung zwei Eigenschaften der Energieform betrifft: Die erste steht auf Seite 6 und die zweite auf dem fehlenden Teil der Seite 7. Felix Klein musste also – um Hilberts Ausführungen zu verstehen – beide Eigenschaften in Hilberts Fahnenkorrekturen verfolgen können, dementsprechend auch seine Ausführungen auf dem fehlenden Teil der Seite 7. Schappacher ist der Autorin bekannt und hatte einen Entwurf seiner Rezension ihr schon vorab gesandt. Darauf hatte die Autorin ihn darauf hingewiesen, dass Hilberts Beweisführung zwei Eigenschaften betrifft, und dass die zweite Eigenschaft auf dem fehlenden Teil der Seite 7 stand. In seinem Rezensionsentwurf glaubte Schappacher noch, Hilberts Beweisführung würde sich auf den Satz 1 (Seite 6) seiner Korrekturfahnen beschränken. Es wäre schön, wenn Schappacher, ähnlich wie er aus den Ausführungen der Autorin zu seinem Rezensionsentwurf gelernt hat, auch aus dieser Erwiderung auf seine publizierte Rezension lernen würde. Die Autorin ist auf jeden Fall bereit zu weiteren Diskussionen. Hätte Schappacher nicht nur die erste Hälfte des Buches gelesen, so hätte er vielleicht bemerkt, dass „das Büchlein“ sich nicht nur „um ein einzelnes Stück aus diesem großen Nachlass“ David Hilberts „dreht“ (Schappacher, S. 242). Die Autorin hat eine Vielzahl von Quellen aus Hilberts Nachlass untersucht: Schon auf Seite 120-121 ihres Buches sind 23 Mappen aus dem Nachlass von Hilbert aufgelistet, die bei weitem nicht alle im Buch zitierten und in die Analyse miteinbezogenen Quellen enthalten. (Um Hilberts Verhalten bei der Verwendung der römischen Zahlen zu untersuchen, musste die Autorin natürlich den ganzen Nachlass Hilberts durchsehen.) Ebenfalls wurden auf Seite 120 sechs umfangreiche Mappen aus Felix Kleins Nachlass aufgelistet, in denen die Autorin für die Untersuchung bedeutende Quellen entdeckt und das erste Mal in einer wissenschaftshistorischen Arbeit sogar ausgewertet hat: Erwähnt sei nur der Brief von Hermann Vermeil an Felix Klein vom 2. Februar 1918, der eine mögliche Herleitung des entscheidenden Terms der endgültigen Form der Gravitationsgleichungen Hilberts gibt, und den die Autorin als erste besprochen und ediert hat. Ebenfalls hat die Autorin Quellen aus den Nachlässen von Karl Schwarzschild, Arnold Sommerfeld und Gustav Mie verwendet. Da Schappacher erfreulicherweise die Archivarbeit des Wissenschaftshistorikers schätzt, gibt er auch hiermit zu erkennen, dass er nur in den ersten Teil des Buches geschaut hat. Die Autorin kann nicht schließen, ohne einige Ausdrücke des Rezensenten zu erwähnen, die ihre besondere Aufmerksamkeit erweckt haben: Die Autorin „vergeudet“ „ihre Zeit mit der fixen Idee eines Archivfälschers“ (S. 245), „das Büchlein … dreht sich um ein einzelnes Stück“ und „knüpft daran schwere kriminelle Verdächtigungen“ (S. 242), „Kollegen mit großer krimineller Energie“ seien gemeint (S. 245), das Buch wirke auf den Rezensenten wie ein „leichenreiche[r] Krimi“ (S. 242) und stelle eine „Amateur-Kriminalistik“ (S. 245) dar. Mit diesen Ausdrücken verlässt Prof. Schappacher den Bereich der Wissenschaft, teilweise sollen sie sogar beleidigen – und würde der Autorin der Sinn für Humor fehlen, würde sie sie auch so auffassen. Die Autorin glaubt aber, dass sie auf unaufmerksamer und unvollständiger Lektüre beruhen. Sie vertraut darauf, dass sich die Leser – sofern sie auch das Buch und nicht bloß die Rezension Schappachers lesen – selber ein Urteil bilden können über die Gründlichkeit ihrer wissenschaftlichen Untersuchung. Dr. Daniela Wuensch, Göttingen, 15. März 2006 |
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